Die Fallhöhe

Wie sucht man seinen tragenden Protagonisten für eine Podcast-Serie aus? Charismatisch sollte er sein, witzig, rhetorisches Feuerwerk 24/7 bieten und natürlich – sympathisch sein. Oder?

Ein Podcast, der mich – nach „Serial“ – am meisten begeisterte, war „StartUp“. Schrieb ich ja bereits. Nach einigen meiner Meinung nach schwächeren Folgen, konzentrierte sich die Gimlet-Truppe in der aktuellen 4. Staffel auf eine einzige Figur: Dov Charney. Das ist der Gründer von American Apparel, im Grunde der Hersteller ziemlich schlichter T-Shirts. Berühmt und später berüchtigt wurde diese Firma aufgrund der ziemlich unverhohlen sexualisierten Werbekampagnen. Die alle einen speziellen Look hatten. Kennt jeder. Soweit so kontrovers. Dieser Dov Charney, wie sich herausstellt, buchstäblich für ALLES verantwortlich in diesem Laden, stellte sich allerdings bald als Widerling heraus, der seine Machtstellung ausnutzte, um weibliche Angstellte sexuell zu belästigen. Sexual Harassment-Klagen folgten. Irgendwann wurde er aus seiner eigenen Firma herausgedrängt.

„StartUp“ erzählt diese Geschichte nun also noch einmal. Allerdings: sehr lange bekommt vor allem Dov Charney eine Plattform, um verharmlosend und weitestgehend unnwidersprochen seine eigene Sicht darzulegen. Dabei wird er vor allem als charismatischer, lustiger, hochkreativer Kopf porträtiert. Und seine Opfer, die andere Seite, kommt erst relativ spät zu Wort. Eine sehr unangenehme Hörerfahrung: ich muss mir diesen Menschen TROTZ der Podcast-Erzählung immer als Widerling in Erinnerung rufen. Mich selber daran erinnern, was für ein – gelinde gesagt – unsympathischer Mensch da wahnsinnig viel Zeit bekommt, sich auszuleben. Und ich höre ihm zu. Das führte dazu, dass ich mich schon fast ekelig fühlte, das weiterzuhören. Seine Rechtfertigungen, seine Verharmlosungen. Irgendwann kippt das Ganze, er wird ausfällig gegenüber den Macherinnen des Podcasts. Aber auch dann wird er immer noch als charismatischer Innovator präsentiert. Und, das ist der rote Faden, bei dem Aufbau seines neuen Unternehmens begleitet. Kann man das machen? Sollte man das machen?

Ich denke, dass Gimlet hier einen sehr öffentlichkeitswirksamen und eben auch zynischen Move gemacht hat. Charismatisch, witzig, rhetorisch unter Dauerstrom. Das ist ihr Protagonist. Allerdings auch komplett unsympathisch. Das funktioniert deshalb, weil die Fallhöhe groß ist. Der Mann war einmal sehr erfolgreich und sehr reich. Und wie sich herausstellt, hat er seine Machtstellung gnadenlos ausgenutzt. Man hört ihm gern beim Scheitern zu. Es ist allerdings extrem respektlos gegenüber seinen vielen Opfern. Ich denke, man sollte seinen Protagonisten immer schützen, auch vor sich selber. Aber wenn der Protagonist ein Täter ist, gilt es vor allem darum, seine Opfer zu schützen. Und ihnen nicht auch noch das Gefühl geben, wieder windet sich der Typ mit Charisma heraus. Und gewinnt. Und dann muss man sich die Frage stellen, ob man wirklich diesen Typen als Protagonisten wählt, der die Geschichte trägt.

Vielleicht ist die 4. Staffel „StartUp“ das Ergebnis einer in den USA wahrscheinlich immer hektischeren Suche nach dem GANZ GROSSEN WURF. Dem zweiten „Serial“. Oder vielleicht liegt es als Gedanke zunächst nah. Schließlich basieren die großen amerikanischen Fernsehgeschichten seit Tony Soprano immer wieder auf charismatischen Widerlingen. Und diese Staffel ist der Versuch, das Prinzip zu übertragen. Man muss allerdings feststellen: Es hat nicht funktioniert. Und es hinerläßt einen gewissen Nachgeschmack.