Umschreiben, umschreiben, umschreiben

Was kann ich von all den großartigen Podcasts da draußen lernen? ICH zu sagen, schrieb ich hier zuletzt. Aber es gibt auch Podcasts, die darauf völlig verzichten. Die eine eindrucksvolle Atmosphäre schaffen, Spannung, Twists – ohne das grosse Ich. Wie das herausragende Criminal.  Deren Co-Founder Lauren Spohrer hat sich die Zeit genommen, mir ein paar Fragen beantworten.

„Criminal“ hat eine sehr einfache, einleuchtende Prämisse: „Stories of people who’ve done wrong, been wronged, or gotten caught somewhere in the middle.“ Erzählt von der ruhigen, prägnanten Stimme Phoebe Judges.

In der aktuellen Folge etwa geht es um zwei von ihrem Vater ermordete Kinder. Er hat die Leichen begraben, kann sich aber nicht mehr genauer erinnern wo. Eine grauenvolle Geschichte. Die bei „Criminal“ allerdings mit einem Twist erzählt wird. (Achtung: Spoiler!) Eine Frau hört von dem Fall und macht sich auf die Suche. Auch wenn früh klar wird, dass ihre Suche erfolgreich endet, geht es in der Folge zwar um das schreckliche Verbrechen. Aber quasi nebenbei wird das anrührende Porträt einer Frau gezeichnet, die sich einmischt, die aktiv wird, sich nie entmutigen läßt. Die Frau erzählt selbst, ihre Stimme zittert, bricht, es ist eine sehr intensive Folge. Die eben nicht auf Drastik, Brutalität oder überhaupt auf die Tat und den Schockeffekt abzielt. Sondern auf betroffene Menschen. Es ist großartig und ich habe das so noch nie gehört.

Wie gelingt „Criminal“ das? Lauren Spohrer, neben Phoebe Judge Redakteurin der Geschichten, antwortet mir per Mail:

„We pitch stories to each other — Phoebe, Nadia Wilson, and me. We don’t begin with a topic — we always begin with a specific person’s story. If all three of us are interested, someone makes a call and we pre-interview the person to see what they are like and how open they will be about their life. Next, we talk about the way we imagine the story could unfold on the show — what are the most curious parts – what are the cliches that we’re less intrigued by? We come up with a list of questions.“

Das scheint mir ein sehr wichtiger Punkt zu sein: Klischees, das Erwartbare sich bewusst machen. Und dann gnadenlos rausstreichen. Zurück zu Lauren:

„We record the interview, either in person or remotely via ISDN lines. The interviews are informal conversations. Next we transcribe the interview so that we can read the conversation and use that text to begin to assemble a script. We choose the best parts of the conversation and let the person’s story direct the script. We then have several rounds of edits where we all listen to the edited audio and Phoebe narrates, and then we rewrite it and rewrite and rewrite it — often cutting large sections out of it — until all three of us are satisfied.“

Um zusammenzufassen, das sind die einzelnen Arbeitsschritte:

  • Ideen pitchen, ausgehend von Menschen – nicht Themen
  • erstes vortastendes Interview
  • Ablauf der Geschichte, Klischees streichen
  • zweites Interview
  • erstes Skript mit den besten Teilen des Interviews
  • überarbeiten
  • überarbeiten
  • streichen
  • überarbeiten

Und all diese Schritte werden im Team gemacht. Der Unterschied zum Arbeiten im deutschen Radio? Meiner Erfahrung nach arbeitet man als Autor nach erstem Kontakt zur Redaktion im Grunde selbständig, alleine. Die zweite Perspektive kommt erst in der Abnahme wieder ins Spiel. Vielleicht, nur vielleicht: ist das einfach zu spät. Natürlich ist dieser Ablauf in Deutschland vor allem fehlender Zeit, fehlendem Geld, fehlendem Personal geschuldet. Und nicht fehlender Lust der Redaktionen. Und dennoch frage ich mich, ob man das irgendwie ändern könnte.