Anti-Servicehaltung

“Super, aber kann ich nicht wirklich beschreiben”. Diese Empfehlung las ich für den Podcast “Imaginary Advice“. Das ist nicht nur verständlich, sondern auch ziemlich ungewöhnlich. Aus zweierlei Hinsicht.

Zunächst mal schrieb ich ja noch neulich, es komme auf den Titel an. Weil der die Richtung, den Sound, das Thema vorgebe. Idealerweise. Dann kann man die meisten Podcasts tatsächlich gut als elevator pitch zusammenfassen: “Im Podcast erzählen Menschen von ihrer beruflichen Neuorientierung und dem entscheidenden Moment, der alles auslöste”. (Das ist jetzt fiktiv, aber das gibt es sicher 78mal. Ich recherchiere da garantiert nicht.) Mit einem Satz kann ich den Podcast Freunden weiterempfehlen. Und: Als Hörer weiß ich genau, was ich kriege. Und darum geht es ja auch, Erwartungen zu erfüllen und mehr Zuhörer zu bekommen. Das führt zum zweiten Punkt.

Das Überangebot an Podcasts führt zu einer gewissen Service-Haltung der Hörer: Sag mir, was du erzählen willst. Sonst habe ich keine Zeit für dich. Das ist absolut nachvollziehbar. Im Fall von “Imaginary Advice” schließt man sich damit allerdings selber ins Knie und verpasst sehr, sehr viel.

Ok, ich versuche mich an einer Annäherung. Ross Sutherland ist britischer Autor, Schriftsteller, Künstler. Er nimmt seit 45 Folgen in seinem Kleiderschrank auf, die Qualität ist dementsprechend. Er sagt, es geht um Storytelling. Beispiele? Ein 40minütiger Essay über Godwin` s Law (in etwa: je länger eine Online-Debatte läuft, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Hitler ins Spiel bringt. Man kennt das.) inklusive einem absurd hochgestochenen Gedicht, über England, das er als gewitzte Replik empfiehlt. Oder: In einer Folge “remixt” er ein Album von Jay-Z, indem er mit verschlafener Stimme eine Kurzgeschichte über die Instrumentals drüber liest. In der aktuellen Folge namens “S.E.I.N.F.E.L.D.” steht ein “neuronales Netz” auf einer fiktiven Sitcom-Bühne und trägt schale Witze vor, im Publikum sitzt: Ross Sutherland. Soweit alles klar?

Kurz gesagt, das ist alles extrem einfallsreich, skurril und irre lustig. Es geht nicht darum, eine Form zu finden und die dann durchzuhalten – so funktionieren ja viele Podcasts. Nein, hier wird jedes mal aufs Neue alles über Bord geworfen, jede Idee hat eine Chance. Diese Einstellung ist großartig. Und luxuriös. Manche Folgen sind zu lang, manche Ideen sind doof. Aber das passiert. Es kommt garantiert die nächste Folge. Mit neuen Ideen, mit wenig Equipment und nahezu null Geld. Natürlich wird man so keinen Blockbuster produzieren. Das weiß Ross Sutherland auch. Der Podcast ist ein Experimentierfeld für ihn. Aber: dieser Irrsinn ist fast immer inspirierend. Was will man mehr.